Den Gegenpol zu perfekt gemeisterten klassischen bildenden Vorgängen stellt bei ihm die Assamblage dar, die er mit Vorliebe schon seit früherer Phase bis heute benutzt. Gerade in ihr gelingt es ihm, den Charakter des heutigen Lebens unmittelbar zu erfassen. Dlouhý nähert sich zum französischen neuen Realismus, meistens offenkundig zu Armans berühmten Akkumulationen. Die rohe, grobe Gestaltung der Wirklichkeit kommt bei seinen Assamblagen besonders zutage, was mit der glatten altmeisterlichen Malerei kontrastiert. Es geht ihm nicht nur um die Form, sondern auch um ein exaktes Auffangen des Inhaltes, um das Erfassen der Absurdität der heutigen, unübersichtlich sich entwickelten Welt. Gedränge verschiedener Gegenstände werden so zum Spiegel der Verfassung der Gesellschaft und der Zivilisation, zu einem ironischen Blick auf das komplizierte, unüberschaubare, oft unverständliche und seltsame gegenwärtige Geschehen. Seine Arbeit spiegelt aber vor allem seine Seele wider, sein Denken und Fühlen, sie wird zum imaginären Selbstportrait, in dem Ordnung und Chaos ineinander durchdringen. Beide Phänomene bestreiten sich zwar gegenseitig, können aber zugleich ohneeinander nicht existieren, ein wächst aus dem anderen heraus. Auch die Methode der Collage liegt Bedřich Dlouhý natürlich sehr nah, die für das Denken des 20. und – wie es scheint – auch des 21. Jahrhunderts kennzeichnend ist. Sie ermöglicht ihm, genauso wie die Assamblage, auf den ersten Blick unverbindbare Elemente zu verbinden. Er ergänzt sie aber mit weiteren Techniken.
Suggestiv wirken seine Lichtzeichnungen. Die zerbrechlichen und feinen Linien in ihnen verbinden sich mit der inneren Ausstrahlung. Sie wirken wie magische Altäre, fordern tiefe Meditation auf und nähern sich atmosphärisch der Installationen eines Christian Boltanski. Dlouhý kann mit einem sonderbar romantischen Gefühl gewöhnliche Gegenstände ausnutzen, die wir jeden Tag begegnen und deshalb von ihnen selten Notiz nehmen. Zugleich kehrt er aber zu typischen Erscheinungen der Gegenwart. Er verfolgt aufmerksam die Geschehnisse des Tages, betrachtet Situationen und Veränderungen unserer Umwelt und die Art, wie wir sie wahrnehmen. Für seine Arbeit benutzt er zum Beispiel Modezeitschriften, die eines der Gesichter der oberflächlichen und abgehetzten Zeit von heute im neuen Kontext präzise bloßstellen. In seine Bilder tritt somit eine Welt hinein, die nach vergänglichen Werten, nach billigem und einfachem Erfolg Hals über Kopf strebt. Sein Ausdruck nähert sich hier der Pop-Art, die auf ähnliche Weise Grundeigenschaften der Konsumgesellschaft ironisiert, auf die Vorherrschaft allgegenwärtiger Werbung reagiert und eine Poetik erreicht, die ans noch nicht erschlaffende Vermächtnis des Dada anknüpft.
Bedřich Dlouhý gelang zur eigenartigen Anschauung, die aus der gefühlvollen Wahrnehmung und unvermittelten Erkenntnis der Umwelt hinausgeht, in der wir gelebt haben und die sich in Zusammenhang mit der politischen und gesellschaftlichen Nachkriegssituation grundsätzlich vom Westeuropa unterschied, das sich in ganz andere Richtung bewegte. In Böhmen blieb genauso wie in allen anderen Ländern des so genannten Ostblocks die Zeit stehen, während freie demokratische Länder sich viel schneller und natürlicher entfalten konnten. So projizierte sich in Dlouhýs Schaffen und in das Denken und Fühlen ganzer Generation der Abglanz von Kafkas bizarrer Welt, in der man auf keine Weise zum Ziel gelangen kann und wo sich die Lösung unserer Probleme immer weiter von uns entfernt. Trotz aller Bemühung kehren wir in dieser Welt oft wieder dorthin, wo wir zuvor hergekommen sind. Bedřich Dlouhý hat es geschafft, die Banalität und Alltäglichkeit, aber auch die Einmaligkeit und Einzigartigkeit des menschlichen Lebens mit absoluter Genauigkeit zu entdecken und zu erfassen. Er arbeitet ständig mit gleichen Ausdrucksmitteln, er beherrscht sie alle vollkommen. Seine ungewöhnliche technische Fähigkeiten, seine malerische und zeichnerische Virtuosität sind nie selbstzweckmäßig. Seine beliebten Vorgänge kann er immer auf raffinierte Weise verbinden und vernetzten, um besondere Spannung, um Fragen in uns hervorzurufen, die aber jeder selbst zu beantworten hat. Sein Werk ist reich und expressiv, er schafft es, die Umwälzungen der Welt in ihrer Mehrdeutigkeit, Unvorhersehbarkeit und Kompliziertheit zu erfassen.
Dlouhý erstellt ein merkwürdiges, nie endendes Tagebuch voller Abweichungen und Labyrinthe. Darin werden alle seine Ideen, Gedanken und Vorstellungen durch Zusammensetzen aufgefundener Gegenstände eingeschrieben, die ein authentischer Nachweis ihrer Zeit darstellen. Manchmal druckt sich Dlouhý auf sehr intime Art und Weise aus und sein Werk wird zur persönlichen Beichte. Ein andermal zielt er auf monumentalen Ausdruck, in dem sich heterogene Bedeutungsebenen durchdringen. Dabei bleibt er vom Grund her zerbrechlich und fein, die reiche innere Welt des Autors wird darin projiziert. Sie bleibt selbstverständlich nicht isoliert von den Geschehnissen, die, ob wir es wollen oder nicht, uns unmittelbar berühren. Es spiegelt sich in ihr die Überzeugung der Bedeutung der ethischen Werte wider, die Glaube an den Sinn der künstlerischen Äußerung und zugleich auch eine unbestimmte Befürchtung von unsicherer Zukunft. Die lebenslange Erfahrung des Autors konzentrierte sich in den letzten Jahren in monumentalen Selbstportraits, in denen sich verschiedensten Motive, unterschiedliche Vorstellungen und auch alle technischen Vorgänge verknüpfen, die er je benutzt hat. Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit kehrt Dlouhý wieder zurück zur vollkommenen altmeisterlichen Malerei, den Kontrast zu ihr bilden exakt ausgewählte technische Elemente oder nicht mehr benutzbare Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Geräumige Objekte verraten seine Weltanschauung, seine Philosophie, mit der er zu heutiger Gesellschaft zutritt. Sie äußern die Kompliziertheit seines Denkens, wo sich Zweifel mit Hoffnungen vermischen.
Bedřich Dlouhý beschränkte sich trotz seiner Verschlossenheit nicht nur auf eigenes Schaffen, er widmete sich auch der pädagogischen Tätigkeit. Zwischen 1990–1995 wurde er Professor und Leiter des Malerateliers auf der Prager Akademie der bildenden Künste, wo er während seiner Wirkung ganze Reihe Schüler ausbildete. Seit der Beendigung seiner pädagogischen Bahn widmet er sich im Prager Atelier wieder sehr konzentriert und fast täglich seinem Schaffen. Er ist in vielen bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen bei uns und im Ausland vertreten (Prager Nationalgalerie, Centre Georges Pompidou in Paris, Musée d’Art Moderne in Paris, Galerie Arturo Schwarz in Mailand, in beinah allen regionalen Galerien in Böhmen und Mähren u.w.). Selbstständig stellt er seit 1962 aus, sein Werk beschäftigt einige bedeutende tschechische Theoretiker (Jan Kříž, Věra Jirousová). Leider wurde bis dato keine größere und umfangreichere Publikation herausgegeben, die sein Werk von Grund aus kartierte und bewertete. Dabei wurde seine Arbeit mehrere Male offiziell gewürdigt. Im Jahre 1965 wurde ihm auf der Internationalen Biennale der jungen Künstler in Paris der Hauptpreis für Malerei zugeteilt, im Jahre 1996 bekam er die Goldmedaille der Prager Akademie der bildenden Künste für seine pädagogische Arbeit und für seine Teilnahme am Reformumbau der Schule nach Ende des kommunistischen Regimes. Die künstlerische Entwicklung Bedřich Dlouhýs ist sehr kompliziert, sein Schaffen bewegt sich, wie ich schon angedeutet habe, an der Grenze zwischen mehreren Strömungen (Strukturalismus, Fotorealismus, Neodadaismus, Neue Figuration), zwischen dem Vermächtnis tief erkannter Tradition und künstlerischer Strömungen vergangener Epochen und dem Suchen und Entdecken neuer Werte, die dem Heute entsprächen.
Jiří Machalický